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Vortrag eines Holocaust-Überlebenden an der Humboldtschule

Am Donnerstag (11.04.2024) durften wir an der Humboldtschule den Zeitzeugen und
Überlebenden des Holocausts Dr. Leon Weintraub begrüßen. Dr. Weintraub erzählte vor
etwa 200 Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 9-12 eindrücklich, wie er die Zeit des
Nationalsozialismus erlebte, wie er ab 1940 im Ghetto Litzmannstadt (über-)lebte, wie er
1944 im Güterzug in das KZ Auschwitz-Birkenau kam, wie er dort knapp dem Tod in
Auschwitz entrann, wie er schließlich auf einem weiteren Transport den Nazis entkam und
welche Verbindung zur Humboldtschule er nach dem Krieg hatte.
Leon Weintraub wurde 1926 im polnischen Łódź als fünftes Kind in eine jüdische Familie
geboren. Ein Jahr später starb sein Vater, was dazu führte, dass er mit seiner Mutter und
seinen vier Schwestern in Armut aufwuchs. Als er 13 Jahre alt war, sollte er ein
Gymnasium besuchen dürfen. Sein erster Schultag dort hätte der 1. September 1939 sein
sollen – an genau jenem Tag überfiel die deutsche Wehrmacht Polen. 1940 wurde er mit
seiner Familie in das Ghetto Litzmannstadt umgesiedelt und arbeitete um zu überleben in
Fabriken und als Elektriker. Eindrucksvoll beschrieb er den dort herrschenden Hunger,
denn die Nazis verteilten nur 2 kg Brot pro Person und Woche!
Nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad und der Wende des Krieges 1943
begannen auch in seinem Ghetto die Liquidierungen und Deportationen. Anfangs gelang
es ihm noch, sich zu verstecken, doch 1944 wurde er entdeckt und in einen Güterzug
nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Der Zug war so voll, dass man nur stehen konnte und
es herrschte eine bedrückte Stimmung, kaum jemand traute sich zu reden.
In Auschwitz wurde Leon Weintraub von seiner Familie getrennt und einer Gruppe
Häftlingen zugeordnet, die für „Tod durch Vergasung“ vorhergesehen war, wie er später
herausfand.
Es gelang ihm jedoch, in einem Moment als er von Wärtern unbeobachtet war, sich einem
Häftlingstransport anzuschließen und so als „arbeitsfähiger“ Häftling Auschwitz zu
entkommen. Im KZ Groß-Rosen konnte er dann, dank seiner „Job-Erfahrungen“ aus dem
Ghetto Litzmannstadt, als Elektriker arbeiten und weiter überleben.
Dr. Weintraub beschrieb, dass er in den KZs täglich das Leid und den Tod anderer
Häftlinge mitbekam und durch die nahegelegenen Krematorien ein permanenter Geruch
nach verbranntem Fleisch in der Luft lag.
Um dies alles psychisch ertragen zu können, ließ er keine Emotionen oder Gedanken zu
und verfiel in eine kalte Gefühlsstarre, in der er einfach funktionierte und Befehle ohne
nachzudenken ausführte.
Im Zuge der näherrückenden Alliierten wurde Weintraub erneut verlegt und sein Zug
wurde in der Nähe des Schwarzwalds von Fliegern angegriffen. Deshalb wurde er mit
seinem Mithäftlingen zu Fuß weiter getrieben, bis er auf dem Weg von französischen
Soldaten befreit wurde – zu diesem Zeitpunkt wog er nur noch magere 35 kg, so weit
haben es vier Jahre Hunger gebracht.
Nach der Befreiung gelang es ihm, wieder mit dem überlebenden Teil seiner Familie
vereint zu werden. Leon Weintraub begann 1946 ein Medizinstudium in Göttingen, für die
Zulassung zur Prüfung fehlte ihm jedoch das Abitur. Nach Verhandlungen mit der
Universität holte er die Prüfungen nach – an der Humboldtschule in Hannover! Daher
kommt also der Bezug zu unserer Schule.
Zuletzt gab uns Dr. Leon Weintraub folgendes mit auf den Weg: Wir sollen immer
optimistisch und menschlich bleiben, alle Menschen, egal welche Hautfarbe, Herkunft,
usw, gleich behandeln, denn gerade als Arzt habe er gesehen, dass jeder Mensch unter
der Haut gleich aufgebaut ist und es keine „Rassen“ von Menschen gibt!
„Für mich war die Beschreibung von Leon Weintraub sehr bewegend. Mit seinem Vortrag
hat er einem die Distanz zu den Geschehnissen, die sonst über die Schulbücher besteht,
genommen.“ – So ging es vielen Schülerinnen und Schülern, die dem Vortrag lauschten.
Auch seine immer positive und optimistische Einstellung sowie die Abwesenheit von
Rachegefühlen hat viele beeindruckt.
Wir danken Dr. Leon Weintraub für diese spannenden und sehr eindrücklichen Einblicke in
eine sehr schwere Zeit seines Lebens.

Tim Böger, Q1